Stellungnahme zur Revision des Luftfahrtgesetzes

Im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens zum Luftfahrtgesetz (LFG) hat investigativ.ch im Namen der Recherchejournalistinnen und -journalisten der Schweiz eine Stellungnahme eingereicht.

Der 2010 gegründete Verein investigativ.ch, in welchem rund 300 Medienschaffende organisiert sind, setzt sich für Presse- und Informationsfreiheit sowie gute Recherchebedingungen für Journalistinnen und Journalisten ein. Der ungehinderte Zugang zu amtlichen Informationen gestützt auf das Öffentlichkeitsprinzip stellt ein wichtiges Arbeitsinstrument von Medienschaffenden dar, da es ihnen erlaubt, Behauptungen zu überprüfen und die Arbeit der Verwaltung zu verstehen. Mit der vorliegenden Revision des Luftfahrtgesetzes (LFG) soll der Anwendungsbereich des Öffentlichkeitsgesetzes jedoch stark eingeschränkt werden. Wir erlauben uns, im Folgenden auf die Aspekte der Informationsfreiheit und Transparenz in der zur Diskussion stehenden Vorlage einzugehen und die Sichtweise der Medienschaffenden auf dieses Thema darzulegen.

Gemäss des vorliegenden Gesetzesentwurfs sollen künftig laut Art. 107d Berichte über Audits, Inspektionen, Begutachtungen und Kontrollen von BAZL-beaufsichtigten Organisationen nicht mehr öffentlich zugänglich sein. Auch Meldungen und Unterlagen zu Ereignissen, die dem BAZL gemäss EU-Verordnung 376/2014 übermittelt wurden, sollen vom Öffentlichkeitsprinzip ausgenommen werden. Gleiches gilt für Dokumente der Schweizerischen Sicherheitsunter-suchungsstelle (SUST). Dies führt zu einem massiven Transparenzabbau in der Luftfahrtkontrolle, einem Bereich, der viele Menschen unmittelbar betrifft.

Eine wirksame Kontrolle staatlicher Behörden ist aber nur durch Offenlegung gewährleistet – zu diesem Schluss kam auch das Bundesgericht. 2017 hat es in einem wegweisenden Urteil (1C_428/2016) die Verwaltung zu einer transparenten Aufsicht über den öffentlichen Verkehr verpflichtet und eine geplante Geheimhaltungsklausel im Bahngesetz abgelehnt. Es soll verhindert werden, dass ein «Kumpel-System» entsteht, bei welchem Defizite und Missstände im Verborgenen zwischen Direktbeteiligten verhandelt werden, was das Vertrauen in die Kontrollbehörden untergräbt.

Auch im aktuellen Fall wäre eine solche Geheimhaltung problematisch. Die Ausschaltung des Öffentlichkeitsprinzips verhindert eine unabhängige Parallelaufsicht durch interessierte Bürgerinnen und Bürger, Medien und Fachleute, wie sie das heutige Öffentlichkeitsprinzip vorsieht. Die geplante periodische Berichterstattung des BAZL ersetzt das abgeschaffte Öffentlichkeitsprinzip nicht. Eine solche Einschränkung hat vielmehr zur Folge, dass Missstände vertuscht werden können und staatliche Kontrollen nicht ausreichend überprüft werden, was langfristig das Vertrauen in die Verwaltung und die Effektivität der Aufsichtsfunktion schwächt.

Das Parlament hat zudem in der aktuellen Legislaturplanung zum Ausdruck gebracht, dass es mit der aktuellen Umsetzung des Öffentlichkeitsgesetzes nicht zufrieden ist. Unter Artikel 9 Ziel 8 Ziffer 52ter ist die «Beseitigung von Zugangsschranken formeller und finanzieller Art zur Gewährung des staatlichen Öffentlichkeitsprinzips» festgehalten. Es ist bedenklich, dass hier das Öffentlichkeitsprinzip noch stärker eingeschränkt werden soll. Bereits jetzt existieren gemäss des Vereins Öffentlichkeitsgesetz.ch rund dreissig Ausnahmen. Wir sind der Auffassung, dass die im Öffentlichkeitsgesetz sowie in weiteren Gesetzen, darunter dem Luftfahrtgesetz, vorgesehenen Schutzmechanismen vollauf genügen, um wirksame Kontrollen sicherzustellen. Das Öffentlichkeitsgesetz bleibt hier ein unverzichtbarer Bestandteil, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Behörden zu stärken.

Wir fordern Sie auf, Art. 107d im Luftfahrtgesetz zu streichen, um die Transparenz in der Verwaltung, eine vom Volk breit akzeptierte Errungenschaft, auch in diesem wichtigen Bereich zu gewährleisten.

Goldener Bremsklotz 2024: Die Nominierten!

Wer soll den Goldenen Bremsklotz 2024 für die grösste Informationsverhinderung des Jahres erhalten? Wie jedes Jahr hat der Vorstand von investigativ.ch aus euren zahlreichen Vorschlägen drei Spitzenkandidaten ausgewählt.

  • Medienfeindlicher Vorstoss: Politiker Thierry Burkart und Alex Kuprecht
  • Bremsende Justiz: Das erstinstanzliche Zivilgericht von Genf
  • Unfaire Medienstelle: Coop-Mediensprecher Kevin Blättler

Abstimmen können alle Mitglieder von investigativ.ch. Sie haben ein entsprechendes Mail erhalten.

Medienfeindlicher Vorstoss

Der Fall «Suisse Secrets» rund um die Credit Suisse hat aufgezeigt, dass die Pressefreiheit im Bankengesetz gestärkt werden müsste, um künftig Recherchen über sensitiven Daten zu ermöglichen. Die Wirtschaftskommission des Ständerates (WAK-S) machte genau das Gegenteil: Sie forderte den Bundesrat mit einem Postulat auf, zu prüfen, ob die Veröffentlichung «rechtswidrig erhaltener und erhobener Daten» künftig strafbar sein soll. Betroffen wären nicht nur Bankdaten, sondern alle vertraulichen Informationen, mit denen Investigativjournalistinnen und -journalisten arbeiten müssen. Hauptverantwortlich für das Postulat sind vor allem zwei Personen: Der ehemalige Ständerat Alex Kuprecht (SVP Schwyz), der als damaliger Präsident der Wirtschaftskommission zu den Initiatoren des Postulats zählt, und Wortführer FDP-Parteichef Thierry Burkart, der in der Debatte versicherte, dass man damit die Pressefreiheit nicht weiter einschränken wolle. Trotz namhafter Kritik von Expertinnen und Experten und einem offenen Protestbrief unseres Recherche-Netzwerks investigativ.ch, der von über 600 Medienschaffenden unterzeichnet worden ist, hat der Ständerat dem pressefeindlichen Vorstoss zugestimmt. Der Bundesrat hat bis Ende 2025 Zeit, einen Bericht auszuarbeiten.

Auszug der Stellungnahme von Thierry Burkart:

Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, dass ihre sensiblen persönlichen Daten geschützt werden. Dasselbe gilt für Schweizer KMUs, die immer öfter den Angriffen von Cyberkriminellen ausgeliefert sind. Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut. Der Schutz vor Erpressern ist es auch. Das Parlament verlangte vom Bundesrat keine Einschränkungen, sondern einzig einen Bericht, wie diese wichtigen Rechtsgüter vereinbart werden könnten. Es handelt sich also um eine Güterabwägung: Zwischen dem Schutz persönlicher Daten und dem berechtigten Interesse an journalistischer Recherche. An einer solchen Güterabwägung sollten auch kritische Medien, die sich nicht von Cyberkriminellen instrumentalisieren lassen wollen, ein ureigenes Interesse haben.

Ausführliche Nomination & Stellungnahmen

Bremsende Justiz

Die Genfer Onlinebank Flowbank hatte sich massiv überschuldet. Darauf wollte das Westschweizer Wirtschafts- und Finanzzeitung l’Agefi aufmerksam machen. Doch aufgrund einer superprovisorischen Verfügung untersagte die Genfer Justiz dem Medium die Publikation darüber – acht Monate lang. Erst im Juni dieses Jahres konnte l’Agefi die zwei ursprünglichen Artikel wieder onlinestellen; das Berufungsgericht hatte dem Medium Recht gegeben. Die Finma hatte die Onlinebank zu diesem Zeitpunkt aber bereits zwangsgeschlossen. Statt dass Kundinnen und Kunden durch eine rechtzeitige Berichterstattung vor dem sich abzeichnenden Konkurs hätten gewarnt werden können, verhinderte das erstinstanzliche Zivilgericht Transparenz. Dies, obwohl sich die Artikel sachlich auf den Jahresbericht (zu dessen Publikation die Bank ohnehin rechtlich verpflichtet ist) sowie auf einen Prüfungsbericht gestützt haben. Die Leichtfertigkeit, mit der solche vorsorglichen Massnahmen angeordnet werden können, ist äusserst besorgniserregend. Es sind weitere Fälle bekannt (Spionageaktion Katars gegen Fifa-Funktionäre, Öl- und Gasförderer Addax), bei welchen das Genfer Zivilgericht den Medien Maulkörbe verpasste. Und schleppend behandelte. Weitere Fälle von Superprovisorischen gegen Medien sind teilweise seit Jahren hängig.

Die Antwort: Das erstinstanzliche Zivilgericht von Genf möchte keine Stellung nehmen.

Ausführliche Nomination

Unfaire Medienstelle

Als Wirtschaftsjournalist Beat Schmid, Gründer des Onlinemedium tippinpoint.ch, die Medienstelle von Coop anrief, hätte er sich auf eine exklusive Antwort verlassen dürfen. Schmid hatte erfahren, dass Coop das Finanzapp Finance+ nach wenigen Monaten einstellt, und wollte die Information bei der Medienstelle verifizieren. Der stellvertretende Leiter der Coop-Medienstelle, Kevin Blättler, stellte eine Antwort für den Nachmittag in Aussicht. Per Mail vertröstete er Schmid schliesslich auf den nächsten Tag. Doch statt einer persönlichen Antwort erhielt er eine «soeben publizierte Medienmitteilung». Coop nahm Schmids Recherche und Anfrage zum Anlass, das Scheitern des Finanzapps in Form einer Medienmitteilung zu kommunizieren. Solches Vorgehen verletzt die Fairnessregeln und beeinträchtigt die Beziehung zwischen Medienschaffenden und Kommunikationsabteilungen. Medienschaffende müssen darauf vertrauen können, dass sie nicht um die Früchte ihrer Arbeit gebracht werden. Dieses Verhalten schadet nicht nur dem Ansehen des Unternehmens, sondern der gesamten Kommunikationsbranche. Welcher Medienschaffender vertraut einer Medienstelle noch sein Wissen an, wenn er oder sie davon ausgehen muss, dass Informationen aus unerklärten Gründen zurückgehalten werden?

Auszug aus der Stellungnahme von Kevin Blättler:

In diesem spezifischen Fall waren uns leider die Hände gebunden. Die Veränderungen bei Coop Finance+ wurden von einem börsenkotierten Partner nach eingehender Prüfung als potenziell kursrelevant eingestuft. Mit diesem Vorgehen haben wir im Rahmen der Partnerschaft gewährleistet, dass er der gesetzlich vorgeschriebenen Publikationspflicht vollumfänglich nachkommen kann. Daher war es nicht möglich, die Medienanfrage vorgängig zu beantworten.

Ausführliche Nomination & Stellungnahme

Freilassung Assange: Kein Sieg für den investigativen Journalismus

Dass WikiLeaks-Gründer Julian Assange freikommt, ist eine gute Nachricht. Seine Auslieferung hätte einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen. Doch dies als einen historischen Sieg für die Pressefreiheit zu bezeichnen, wie dies viele Organisationen tun, ist falsch.

Im Gegenteil: Pressefreiheit verträgt grundsätzlich keine Deals mit Staatsbehörden.

Dafür, dass Assange gewichtige Dokumente von öffentlichem Interesse ans Licht gebracht hat, war er fünf Jahre in einem Hochsicherheitsgefängnis eingesperrt – ohne Urteil, unter erschwerten Bedingungen. Das ist für einen Rechtsstaat, der die Pressefreiheit als Grundrecht anerkennt, unhaltbar.

Die Veröffentlichung von geheimen Dokumenten, die einen Missstand beweisen, ist Teil des investigativen Journalismus und grundlegend für eine Demokratie. Für die Publikation von Informationen von öffentlichem Interesse soll niemand auch nur einen einzigen Tag im Gefängnis sitzen.

Die Freilassung von Assange entbindet uns nicht von der Verpflichtung, den ethischen Umgang mit potenziell heiklen Informationen zu reflektieren. Insbesondere muss die Frage, ob die Veröffentlichung von geheimen Informationen Menschenleben gefährden kann, in die Überlegungen zur Publikation einfliessen. Dies betrifft den Umgang von Medienschaffenden mit geheimen, sensiblen Informationen ebenso wie den Umgang von Medien mit Whistleblowern.

Eva Hirschi, Geschäftsführerin investigativ.ch

Anielle Peterhans verstärkt den Vorstand von investigativ.ch

An der Mitgliederversammlung des Recherche-Netzwerks investigativ.ch wurde Anielle Peterhans, Reporterin Recherchedesk Tamedia, einstimmig in den Vorstand gewählt.

An der Jahreskonferenz von investigativ.ch am Freitagnachmittag in Bern haben sich rund 50 Journalistinnen und Journalisten aus der ganzen Schweiz zusammengefunden, um sich über Recherchemethoden auszutauschen. Dieses Jahr widmete sich das Recherche-Netzwerk einem kontroversen Thema: dem Undercover-Journalismus (hier der Rückblick).

An der Mitgliederversammlung, die im Vorfeld der Jahreskonferenz stattfand, orientierte der Verein über aktuelle Projekte. Zudem gab es personelle Veränderungen im Vorstand. Das Recherche-Netzwerk investigativ.ch freut sich, mit Anielle Peterhans eine engagierte und versierte Investigativ-Reporterin für den Vorstand gewonnen zu haben. Anielle Peterhans ist Reporterin beim nationalen Recherchedesk von Tamedia und arbeitet seit 2018 im Journalismus. Heute deckt sie schwerpunktmässig gesellschaftspolitische Missstände auf – unter anderem im Bereich Extremismus, Migration und Sexismus.

Anielle Peterhans hat Politikwissenschaften und Geschichte der Neuzeit in Zürich und Göteborg studiert und ist Absolventin der Journalistenschule MAZ in Luzern. Neben ihrem Studium hat sie Praktika im Ressort Politik bei 20 Minuten und bei der «Rundschau» von SRF absolviert, wo sie anschliessend als Rechercheurin arbeitete. Als Teil eines Recherche-Trios war sie an den Cryptoleaks beteiligt, einer gemeinsamen Recherche von «Rundschau», ZDF und Washington Post, die eine weltweite Abhöroperation von US- und deutschen Geheimdiensten enthüllte.

Danach absolvierte Peterhans ein Volontariat beim Tages-Anzeiger und wurde 2022 Teil des Recherchedesk. Dort publizierte sie mit ihrem Team unter anderem die Cyprus Confidentials, bei denen sie unzählige Verbindungen russischer Oligarchen zu Schweizer Banken aufgedeckt haben. 2024 hat Anielle Peterhans einen «Swiss Press Award» in der Kategorie Online erhalten. Sie wurde für eine Team-Recherche über die Anfeindungen gegen Parlamentsmitglieder zusammen mit Patrick Meier, Oliver Zihlmann, Simone Rau und Sebastian Broschinski ausgezeichnet.

«Vereinte Kräfte werden zunehmend wichtiger»

«Ich freue mich enorm, bei investigativ.ch dabei mitwirken zu können, dass sich engagierte Journalistinnen und Journalisten schweizweit vernetzen und zusammenarbeiten», sagt Peterhans. «Denn vereinte Kräfte – nicht nur über Ressorts, sondern auch über Medienhäuser hinaus – werden zunehmend wichtiger, wenn wir etwas bewegen wollen in unserer Welt. Und das wollen wir doch alle!»

Cathrin Caprez, Co-Präsidentin von investigativ.ch und Wissenschaftsredaktorin bei SRF: «Wir freuen uns riesig, mit Anielle eine so engagierte Kollegin für den Vorstand von investigativ.ch zu gewinnen. Sie bringt beeindruckend viel Erfahrung mit – und damit sicherlich auch viele coole Inputs und Ideen.»

Anielle Peterhans folgt auf Timo Grossenbacher. Timo Grossenbacher verlässt nach vier Jahren den Vorstand, da er sich beruflich neu ausrichtet und neue Projekte in Angriff nehmen will. Er bleibt investigativ.ch weiterhin als Mitglied erhalten. Ebenfalls an der Mitgliederversammlung zurückgetreten ist Marc Meschenmoser, da er den Journalismus verlässt und beruflich eine neue Herausforderung annimmt. investigativ.ch bedankt sich bei beiden für ihr grosses Engagement für den Verein.

Recherche-Apéro mit Anielle Peterhans

Damit die Mitglieder von investigativ.ch das neue Vorstandsmitglied Anielle Peterhans kennenlernen können, findet am 25. Juni um 18 Uhr ein Recherche-Apéro bei Tamedia statt. Anielle Peterhans, Oliver Zihlmann und Christian Brönnimann werden einen Einblick in die kollaborative Recherche rund um die Cyprus Confidentials geben.

Die Recherche-Apéros von investigativ.ch bieten jeweils Einblick in die Hintergründe einer aktuellen, vieldiskutierten Recherche. Beim anschliessenden Apéro gibt es die Möglichkeit, sich über die Recherche auszutauschen und zu vernetzen. Hier zur Anmeldung (exklusiv für Mitglieder von investigativ.ch).

Rückblick auf die Jahreskonferenz 2024

Wie Medienschaffende an die Grenze gehen – und Grenzen sprengen: Unter diesem Thema fand am Freitagnachmittag, 24. Mai 2024, in Bern die grosse Jahreskonferenz von investigativ.ch statt. Dieses Jahr widmete sich das Recherche-Netzwerk einem kontroversen Thema: dem Undercover-Journalismus.

Fotos: Ⓒ Raphael Hünerfauth

Wann dürfen Journalistinnen und Journalisten verdeckt recherchieren? Was ist aus rechtlicher und medienethischer Sicht erlaubt? Und wie können Reporterinnen und Reporter von den Ermittlungsmethoden aus anderen Berufsfeldern profitieren? Diesen Fragen widmete sich das Recherche-Netzwerk investigativ.ch an der diesjährigen Jahreskonferenz. In Bern wartete ein zweisprachiges Programm (Deutsch und Französisch) mit hochkarätigen Gästen, lehrreichen Workshops und kontroversen Diskussionen auf die Teilnehmenden.

Die Veranstaltung eröffnete Jean Peters von CORRECTIV Deutschland. Er leitete die Recherche «Geheimplan gegen Deutschland», die die grösste Demonstrationswelle auslöste, die es in der Geschichte Deutschlands jemals gab. Über drei Millionen Menschen gingen in den Folgewochen auf die Strasse und positionierten sich gegen Rechts. Wie ist die Recherche entstanden? Was waren die Folgen? Und wie wurde Correctiv danach angegriffen? Jean Peters, der in Potsdam vor Ort war, bot einen Blick hinter die Kulissen der Recherche.

In den anschliessenden Workshops vermitteln investigative Medienschaffende wertvolle Praxis-Tipps und Inputs zu Recherchemethoden. So erzählten Journalist Conradin Zellweger von SRF Investigativ und Barbara Lehmann vom SRF-Rechtsdienst von heiklen Drehs mit versteckter Kamera – ob bei Reichsbürgern, im illegalen Pokerclub oder auf einer Fähre, wo Flüchtlinge eingesperrt werden.

In einer von Timo Grossenbacher (ehemals Tamedia) geleiteten Werkstatt zogen wir Bilanz, wo sich der Einsatz von künstlicher Intelligenz im Journalismus behauptet hat. Mitglieder von investigativ.ch gaben Tipps und zeigten, wofür sie KI bei eigenen Recherchen verwenden.

Bei Recherchen über Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche beissen Journalistinnen und Journalisten oft auf Granit. François Ruchti von der RTS hat mit seiner Recherche über die Missbrauchsfälle von Domherren der Abtei Saint-Maurice im Wallis für Aufsehen gesorgt. Dabei kam auch eine verdeckte Kamera zum Einsatz – allerdings nicht vom Journalisten, sondern von einem Opfer. Otto Hostettler vom Beobachter hat Missbrauchsfälle im Bistum Basel und im Kloster Einsiedeln ans Licht gebracht. Er spielte mit anderen Grenzen: Denjenigen des anwaltschaftlichen Journalismus. Eva Hirschi sprach mit ihnen über die Herausforderungen.

Ein weiteres Werkstattgespräch widmete sich Recherchen in den Bereichen, wo Journalismus-Skills ebenfalls gefragt sind. Nicole Meier, bis Ende Mai Chefredaktorin des deutschsprachigen Dienstes von Keystone-SDA, arbeitet bald in einem Teilzeitpensum bei der Polizei am Flughafen Zürich. Und Alexandre Haederli, Prüfexperte bei der Eidgenössischen Finanzkontrolle, war zuvor Recherchejournalist bei Tamedia. Sven Altermatt fühlte ihnen auf den Zahn.

Die verdeckte Recherche ist eine rechtliche und moralische Gratwanderung. Doch wo liegen ihre Chancen und wo ihre Grenzen? Was müssen Medienschaffende beachten? Darüber sprach Eva Hirschi in einer Podiumsdiskussion mit hochkarätigen Gästen: Susan Boos vom Schweizer Presserat sprach über die rechtliche und medienethische Perspektive, Sarah Jäggi vom Schweizer Büro der ZEIT von ihrer preisgekrönten verdeckten Recherche zur Beratung von schwangeren Frauen bei der Organisation „Schweizerische Hilfe für Mutter und Kind“, und Jean-Philippe Ceppi von der RTS über den Wandel verdeckter Recherchemethoden – er hat kürzlich ein Buch über die Geschichte der versteckten Kamera im TV-Journalismus publiziert.

Abgerundet wurde die Jahreskonferenz auch dieses Mal durch unser beliebtes Networking-Apéro. Über das grosse Interesse, die lobenden Worte und den regen Austausch haben wir uns sehr gefreut!

Von investigativ.ch geförderte Recherche wird mit dem «Swiss Press Award» ausgezeichnet

Matthias Niederberger und Fabian Duss wurden am Freitag als «Swiss Press Journalists of the Year» ausgezeichnet. Wir gratulieren herzlich! Die zwei Lokaljournalisten aus dem Kanton Schwyz haben einen Beitrag über Willkür bei Einbürgerungsgesprächen in der Lokalzeitung «Freier Schweizer» publiziert.

Sie wollten wissen: Welche Fragen müssen Personen, die sich im Kanton Schwyz einbürgern lassen wollen, beantworten? Gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz forderten sie von den Schwyzer Gemeinden Informationen zum Einbürgerungsprozess sowie Einblick in den Fragenkatalog, mit dem Einbürgerungswillige getestet werden. Und stiessen dabei bei der Verwaltung auf Abwehrhaltung, irreführende Argumente und endlose Wartezeiten.

Diese Recherche wurde mit dem «Recherche-Fonds von investigativ.ch / Daniel Brunner» finanziell unterstützt. Dieser zweite Topf unseres Recherche-Fonds hat zum Ziel, Recherchen im Lokal- und Regionaljournalismus in der Zentralschweiz und Zug zu fördern. Neben dem geografischen Fokus gelten die gleichen Bedingungen wie beim «investigativ.ch: Recherche-Fonds der Gottlieb und Hans Vogt Stiftung».

Unterstützung für deine Recherche

Bist du Journalistin oder Journalist und brauchst du ebenfalls Unterstützung für deine Recherche? Dann reiche jetzt dein Gesuch ein. Seit 2019 fördert der von der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung finanzierte Fonds Recherchen im Schweizer Lokal- und Regionaljournalismus. Seit 2022 wird dieser Fonds mit einem Topf für die Zentralschweiz und Zug ergänzt, dem «Recherche-Fonds von investigativ.ch / Daniel Brunner».

Bewerben können sich Journalistinnen, Journalisten oder Redaktionen, die eine Lokal- oder Regionalrecherche in der Schweiz durchführen möchten. Für eine sogenannte Anschubfinanzierung gewährt der Fonds bis zu 1500 Franken, für Realisierungsfinanzierungen maximal 6000 Franken. Zusätzlich haben die Journalistinnen und Journalisten Anspruch auf ein Coaching durch eine erfahrene Person aus dem Netzwerk von investigativ.ch.

Alle Bedingungen sowie das Fonds-Reglement findest du hier. Einen Einblick in die geförderten Recherchen erhältst du hier. Wir freuen uns auf dein Gesuch!

Einladung zu unserer Jahreskonferenz 2024

Wie Medienschaffende an die Grenze gehen – und Grenzen sprengen

Von journalistischen Grenzgängerinnen und verdeckten Rechercheuren: Darum dreht sich die Jahreskonferenz 2024 von investigativ.ch. Wir blicken auf brisante Undercover-Recherchen, die zu reden gaben. Und wir lernen von Profis, die bei ihrer Arbeit ebenfalls recherchieren.

Wann dürfen Journalistinnen und Journalisten verdeckt recherchieren? Was ist aus rechtlicher und medienethischer Sicht erlaubt? Wie können Reporterinnen und Reporter von den Methoden von Ermittlerinnen, Buchprüfern oder Forensikerinnen profitieren? Seid dabei, wenn wir all diese Fragen mit unseren hochkarätigen Gästen diskutieren (Programm weiter unten).

Datum: Freitag, 24. Mai 2024

Ort: Saal «Kleine Bühne» im PROGR in Bern (6min vom Bahnhof; Waisenhausplatz 30, 3011 Bern)

Zeit: Mitgliederversammlung ab 13:15 Uhr, Jahreskonferenz von 14:15 Uhr bis 18:00 Uhr, anschliessend Apéro.

PROGRAMM

13h15Mitgliederversammlung (ausschliesslich für Mitglieder)
14h00Eintreffen
14h15Keynote von Jean Peters (CORRECTIV)
Die Recherche «Geheimplan gegen Deutschland» löste die grösste Demonstrationswelle aus, die es in der Geschichte Deutschlands jemals gab. Über 3 Millionen Menschen gingen in den Folgewochen auf die Strasse und positionierten sich gegen Rechts. Doch wie ist die Recherche entstanden? Was waren die Folgen? Und wie wurde Correctiv danach angegriffen? Jean Peters, der die Recherche leitete und in Potsdam vor Ort war, bietet einen Blick hinter die Kulissen der Recherche.
15h00-15h45Workshops:

– Kleine BühneUndercover: Heikle Drehs mit versteckter Kamera: Conradin Zellweger und Barbara Lehmann (SRF) auf Deutsch
Bei mehreren Recherchen war SRF Impact mit versteckter Kamera unterwegs. Bei Reichsbürgern, im illegalen Pokerclub oder auf einer Fähre, wo Flüchtlinge eingesperrt werden. Solche Film-Einsätze versprechen Action, liefern authentisches Filmmaterial und bringen im besten Fall neue Beweise. Damit solche Drehs gelingen, braucht es einen Plan, gute Technik und ein Sicherheitskonzept. Und es stellen sich publizistische, medienethische und rechtliche Fragen. Conradin Zellweger spricht über die 10 wichtigsten Learnings seiner Undercover-Drehs. Barbara Lehmann, stv. Leiterin Rechtsdienst SRF, zeigt auf, was juristisch zu beachten ist.

– StubeKI-Werkstatt auf Deutsch und Französisch
Wofür hat sich der Einsatz von künstlicher Intelligenz im Journalismus behauptet? Mitglieder von investigativ.ch geben Tipps und zeigen, wofür sie KI bei eigenen Recherchen verwenden.
Moderation: Timo Grossenbacher
15h45-16h15Kaffeepause
16h15-17h00Workshops:

– Kleine BühneMissbrauchsfälle in der katholischen Kirche: François Ruchti (RTS) und Otto Hostettler (Beobachter) auf Deutsch und Französisch
François Ruchti hat mit seiner Recherche über die Missbrauchsfälle von Domherren der Abtei Saint-Maurice im Wallis für Aufsehen gesorgt. Dabei kam auch eine verdeckte Kamera zum Einsatz – allerdings nicht vom Journalisten, sondern von einem Opfer. Das wirft Fragen auf. Otto Hostettler hat Missbrauchsfälle im Bistum Basel und im Kloster Einsiedeln ans Licht gebracht. Er spielt mit anderen Grenzen: Derjenigen des anwaltschaftlichen Journalismus. Wir sprechen über ihre Recherchen, deren rechtlicher und moralischer Grenzen – und wie sie mit der unkooperativen Gegenseite umgehen. Moderation: Eva Hirschi

– StubeRecherchen in anderen Bereichen: Wo Journalismus-Skills ebenfalls gefragt sind, auf Deutsch und Französisch
Sie haben der Medienwelt – zumindest teilweise – den Rücken gekehrt. Und doch profitieren sie weiterhin von ihren journalistischen Skills: Nicole Meier, bis Ende Mai Chefredaktorin des deutschsprachigen Dienstes von Keystone-SDA, arbeitet bald in einem Teilzeitpensum bei der Polizei am Flughafen Zürich. Und Alexandre Haederli, Prüfexperte bei der Eidgenössischen Finanzkontrolle, war zuvor Recherchejournalist bei Tamedia. Moderation: Sven Altermatt
17h00Podiumsdiskussion
auf Deutsch und Französisch

Chancen und Grenzen der verdeckten Recherche
Bis hierhin und nicht weiter? Die verdeckte Recherche ist eine rechtliche Gratwanderung. Wo liegen ihre Grenzen? Was müssen Medienschaffende beachten? Darüber diskutieren wir mit einem hochkarätig besetzten Podium: Susan Boos (Schweizer Presserat), Sarah Jäggi (Die Zeit), Jean-Philippe Ceppi (RTS und Autor eines Buches über die Geschichte der versteckten Kamera im TV-Journalismus).
18h00Apéro

 ANMELDUNG

Die Anzahl Plätze für die Jahreskonferenz ist beschränkt. Bitte meldet euch rasch an.

Kosten: 25.- für Mitglieder, 50.- für Nicht-Mitglieder (bitte überweisen auf CH51 0900 0000 8506 3384 1).

MV & Jahreskonferenz 2024
Sprache / Langue
Ich nehme teil... / Je participe...
Ich nehme am anschliessenden Apéro (um 18 Uhr) teil. / Je participe à l'apéritif (à 18h).
Start Over

Stellungnahme: Schwächere SRG bedeutet schwächeren Recherchejournalismus

Investigativer Recherchejournalismus ist zeit- und ressourcenintensiv. Mit einer Mittelreduktion wäre eine Abnahme des Umfangs und der Qualität der Leistungserbringung der SRG unvermeidbar. Deshalb hat der Verein investigativ.ch an der Vernehmlassung zur entsprechenden Teilrevision teilgenommen.

Im Namen der Recherchejournalistinnen und -journalisten der Schweiz nehmen wir als Verein investigativ.ch im Vernehmlassungsverfahren zur Teilrevision der Radio- und Fernsehverordnung (RTVV) Stellung.

Wir begrüssen die vom Bundesrat kommunizierte Ablehnung der SRG-Halbierungsinitiative, welche weitreichende, unwiderrufliche negative Auswirkungen auf das publizistische Angebot der SRG und damit drastische Folgen für das mediale Angebot in der Schweiz hätte. Allerdings lehnen wir die hiermit präsentierte Teilrevision der Radio- und Fernsehverordnung in ihrer Gesamtheit ab.

Die Medienbranche ist seit Jahren stark unter Druck. Die in den letzten Monaten angekündigten Sparpläne bei nahezu allen grossen und kleinen Medienhäusern zeigt: Einen weiteren massiven Stellenabbau kann der Medienplatz Schweiz nicht auffangen, die Vielfalt leidet und der Druck auf die bestehenden Angestellten wurde in den letzten Jahren mit jeder der zahlreichen Sparrunden höher. Eine Abnahme des Umfangs und der Qualität der Leistungserbringung der SRG ist mit einer (erneuten) Mittelreduktion unvermeidbar. Mit welchem Ziel? Der Bundesrat argumentiert mit einer «für die Haushalte spürbaren Senkung der Haushaltabgabe». Uns ist schleierhaft, wie bei einer Senkung von 35 Franken pro Jahr und pro Haushalt von einer spürbaren Senkung gesprochen werden kann.

Für die Bevölkerung ist ein qualitativ hochstehender Journalismus grundlegend. Auch die Bundesverfassung hält unter Art. 93 fest, dass Radio und Fernsehen «zur Bildung und kulturellen Entfaltung, zur freien Meinungsbildung und zur Unterhaltung» beitragen. Ein unabhängiges, starkes Angebot des Service public ist für eine Demokratie und die öffentliche Meinungsbildung essenziell. Dies ist insbesondere in Zeiten von Desinformation von entscheidender Wichtigkeit – die breit zugänglichen Instrumente der künstlichen Intelligenz (wie beispielsweise ChatGPT) haben gezeigt, wie einfach und täuschungsecht Fake News generiert und verbreitet werden können. Von Fake News geht eine grosse Gefahr aus, denn mittels Falschinformationen wird – im Gegenzug zu Falschmeldungen – ein bestimmtes Ziel verfolgt und versucht, Einfluss auf politische, gesellschaftliche oder ökonomische Entwicklungen zu nehmen.

Medien nehmen durch ihre verifizierende und einordnende Funktion eine wichtige Rolle als Orientierungshilfe für die Bevölkerung ein. Journalistinnen und Journalisten sind geschult, Quellen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, Stellungnahmen einzuholen, im konkreten Einzelfall das öffentliche Interesse gegen Geheimhaltungsinteressen abzuwägen und Informationen einzuordnen. Wir sind der Ansicht, dass gute Recherchen nur mit guten Arbeitsbedingungen möglich sind – sowohl bei privaten als auch bei öffentlichen Medien.

Insbesondere der investigative Recherchejournalismus, der Missstände aufdeckt, Anschuldigungen auf den Grund geht und Klarheit über diffuse Informationen schafft, ist zeit- und ressourcenintensiv. Da die SRG wirtschaftlich und politisch unabhängig ist, kann sie Recherchen angehen, die sich für viele private Medien nicht lohnen würden. Auch ermöglicht die SRG aufwändige Dokumentarfilme und investigative Podcasts und sorgt dafür, dass die Bevölkerung in allen Landesteilen und Sprachregionen von einer vielfältigen Berichterstattung profitiert.

Wir erinnern daran, dass sich auch das UVEK entsprechend geäussert hat: «In einer digitalisierten und fragmentierten Medienwelt ist ein guter Service public als Orientierungspunkt für die Demokratie wichtiger denn je. Private Radio- und Fernsehangebote ohne Leistungsauftrag und Gebührenunterstützung sind primär auf Unterhaltung ausgerichtet und bieten im Unterschied zu Service public Angeboten wenig politische Hintergrundinformation oder Kultur- und Bildungsvermittlung. Der Service public hingegen erfüllt eine integrierende Funktion: Sprachgemeinschaften, Religionen, Generationen, Menschen mit Migrationshintergrund und weitere gesellschaftliche Gruppen sollen in den Programmen miteinbezogen werden.»

Dies sieht auch die Schweizer Bevölkerung so: Im Rahmen der «No Billag»-Initiative im Jahr 2018 hat sich die Bevölkerung mit einem klaren Nein von 71,6 Prozent für den Service public ausgesprochen. Die Abgabe unterstützt nicht nur die SRG in ihrem Grundversorgungsauftrag, sondern hilft auch bei der Finanzierung von zahlreichen lokalen Radio- und Fernsehsendern in allen Sprachregionen, wie  BeO, Neo1, Radio 3fach, TeleBärn oder Tele 1. Diese wären durch eine Kürzung der Gebühr für Radio und Fernsehen stark gefährdet. Zudem hängt gemäss einer vom Bund im Jahr 2016 in Auftrag gegebene Studie an jeder Vollzeitstelle bei der SRG eine weitere Vollzeitstelle in einer anderen Branche.

Die vorgeschlagenen Verordnungsanpassungen hätte ähnlich drastische Folgen wie die Volksinitiative: massiver Stellenabbau, Schwächung der Medien- und Kulturlandschaft, Verlust von Qualität und Vielfalt für die Bevölkerung. Statt eine qualitative Berichterstattung und die Möglichkeiten der öffentlichen Meinungsbildung zu stärken, würde der Bundesrat mit dieser RTVV-Revision den medialen Service public schwächen und damit die Erosion der Vielfalt und der Qualität der Schweizer Medienlandschaft weiter vorantreiben. Wir bitten den Bundesrat daher, auf diese Revision zu verzichten.

SAVE THE DATE: MV & Jahreskonferenz am 24. Mai 2024

Das Datum für die nächste Mitgliederversammlung und Jahreskonferenz von investigativ.ch steht fest: Wir treffen uns am Freitagnachmittag, 24. Mai 2024 in Bern. Zurzeit sind wir daran, einmal mehr ein spannendes und hoffentlich lehrreiches Programm zusammenzustellen, mit hochkarätigen Gästen, Workshops, Diskussionen und einem Networking-Apéro! Tragt euch bereits das Datum in der Agenda ein, mehr Infos folgen bald.

«Liebe Ständeräte, wollt ihr das wirklich?»

Statt die Pressefreiheit zu stärken, hat der Ständerat in der Wintersession in zwei parlamentarischen Vorstössen zum Ausdruck gebracht, dass er das Gegenteil will. Als Schweizer Recherche-Netzwerk, das sich für gute Recherchebedingungen einsetzt und investigativen Journalismus fördert, sind wir sehr enttäuscht und vor allem auch beunruhigt.

Gemeinsam mit weiteren Medienverbänden und -organisationen (VSM, Medien mit Zukunft, SRG SSR, Radios Régionales Romandes, Schweizer Presserat, Reporter ohne Grenzen, Lobbywatch, syndicom, impressum, SSM, CFJM, MAZ, QuaJou, investigativ.ch) hatten wir uns im Vorfeld an das Parlament gewendet und vor diesem Schritt gewarnt. Unseren offenen Brief haben rund 700 Medienschaffende unterschrieben.

Nun wendet sich auch Dominique Strebel, Gründungspräsident von investigativ.ch und Chefredaktor des Beobachters, an den Ständerat: «Mit Verlaub. Das ist kurzsichtig, schadet der Schweiz und zeugt von einem beschränkten Verständnis der Medienwelt.» Nachfolgend publizieren wir den Text, der am 20. Dezember im Beobachter erschienen ist.

Bild: Getty Images

Liebe Ständerätinnen und Ständeräte, wir müssen reden.

Sie wollen, dass Journalistinnen und Journalisten bestraft werden können, wenn sie über geheime Unterlagen aus einer Schweizer Bank berichten. Mit bis zu drei Jahren Gefängnis.

Darum haben Sie eine Motion des Nationalrats abgelehnt, die diesen Maulkorb für Medien beseitigen wollte. Banken und andere Finanzinstitute bleiben somit für Schweizer Journalistinnen eine Blackbox. Doch damit nicht genug – die Drohung mit einer drakonischen Strafe soll nun sogar noch ausgeweitet werden.

Mit Verlaub. Das ist kurzsichtig, schadet der Schweiz und zeugt von einem beschränkten Verständnis der Medienwelt. Denn Tatsache ist: Geheime Daten werden auch in Zukunft veröffentlicht werden. Aber nicht von Schweizer Medien, sondern von ausländischen. 

Das zeigt die geltende Strafbestimmung exemplarisch: Die «Süddeutsche Zeitung» berichtete 2022 über die 18’000 zweifelhaften CS-Konten von «brutalen Machthabern, korrupten Politikern, Kriegsverbrechern und anderen Kriminellen».

Schweizer Medien konnten nur nachbeten, was über die Credit Suisse publiziert wurde, aber nicht selbst in den Datensätzen von «Suisse Secrets» recherchieren. Und 2023 beim CS-Debakel musste die Schweizer Öffentlichkeit der britischen Tageszeitung «Financial Times» glauben. Eigene geheime Quellen konnten Schweizer Medien nicht auswerten. 

Die Strafbestimmung für Medien stammt aus dem Jahr 2015, als die Schweiz Bollwerke errichtete, um sich gegen ausländische Angriffe auf das Bankgeheimnis zu wehren.

Das Bankgeheimnis ist längst Geschichte, die Strafbestimmung blieb – und half ironischerweise wohl mit, die zweitgrösste Bank des Landes zu Fall zu bringen. Denn eine kritische Berichterstattung auch im Bankwesen ist ein Frühwarnsystem, das mithelfen kann, derartige Kollapse zu verhindern.

Liebe Ständerätinnen und Ständeräte, Sie haben daraus offenbar nichts gelernt, sondern wollen jetzt sogar, dass Medien immer bestraft werden können, wenn ihre Berichte auf rechtswidrig erworbenen Daten beruhen. Ausser es könnten dadurch systematische Gesetzesverletzungen aufgeklärt werden.

Mit einem Postulat haben Sie – mit 28 zu 12 Stimmen – den Bundesrat aufgefordert, einen entsprechenden Bericht zu verfassen. 

Wollen Sie das wirklich? Für den Beobachter hätte ein entsprechendes Gesetz einschneidende Konsequenzen: Prix-Courage-Kandidatinnen und -Kandidaten wie Esther Wyler und Margrit Zopfi, die Mängel im Controlling von Sozialmissbrauch öffentlich gemacht haben, oder André Plass, der auf Missstände bei der Herzchirurgie des Unispitals Zürich hinwies, könnten kaum mehr nominiert werden. Zu gross wäre das rechtliche Risiko.

Und viele Recherchen wären nicht oder nur mehr eingeschränkt möglich. So zum Beispiel diejenigen über Schlamperei beim Inselspital Bernvertrauliche Patientendaten bei der CSSChatverläufe von CyberkriminellenOnlinebetrüger oder Angriffe von Hackern auf Spitäler

Ihr Postulat ist naiv, denn geheime Daten werden im Internet und über Social Media auch dann verbreitet, wenn dies unter Strafe steht. Das war bisher so und wird in Zukunft nicht anders sein. Zu einfach ist es, Spuren zu verwischen, zu aufwendig die Strafverfolgung.

Da ist es sinnvoller, wenn klassische Medien informieren und einordnen. Journalistinnen und Journalisten sind geschult, Quellen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, Stellungnahmen einzuholen, im konkreten Einzelfall das öffentliche Interesse gegen Geheimhaltungsinteressen abzuwägen und Informationen einzuordnen.

Das ist unser Handwerk, das wir Tag für Tag anwenden. Und falls wir es nicht korrekt tun, sichern ein ausgebautes Medienrecht und ein Heer von Medienanwältinnen und PR-Beratern die Rechte der Betroffenen.

Seien Sie ehrlich: Sie misstrauen unserer Branche. Aber womöglich ist Ihr Bild von ihr, liebe Ständerätinnen und Ständeräte, schlicht zu negativ. Vielleicht weil Sie es mit Social Media vermischen oder weil es geprägt ist von einzelnen, persönlichen Erlebnissen, die nicht die grundsätzliche Arbeit und Leistung von Medien widerspiegeln. 

Deshalb: Liebe Ständerätinnen und Ständeräte, lassen Sie uns reden. 079 588 90 68; dominique.strebel@nospam-beobachter.ch oder – wenn Sie anonym Kontakt aufnehmen wollen – www.sichermelden.ch. Ich verspreche Ihnen, wir werden Ihre Daten vertraulich und mit der nötigen Sorgfalt behandeln. Wie wir das immer tun.

Dominique Strebel hat investigativ.ch mitgegründet und war der erste Präsident des Vereins. Heute leitet der Jurist und Journalist als Chefredaktor die Redaktion des Beobachters.