Goldener Bremsklotz 2024: Die Nominierten!
Wer soll den Goldenen Bremsklotz 2024 für die grösste Informationsverhinderung des Jahres erhalten? Wie jedes Jahr hat der Vorstand von investigativ.ch aus euren zahlreichen Vorschlägen drei Spitzenkandidaten ausgewählt.
- Medienfeindlicher Vorstoss: Politiker Thierry Burkart und Alex Kuprecht
- Bremsende Justiz: Das erstinstanzliche Zivilgericht von Genf
- Unfaire Medienstelle: Coop-Mediensprecher Kevin Blättler
Abstimmen können alle Mitglieder von investigativ.ch. Sie haben ein entsprechendes Mail erhalten.
Medienfeindlicher Vorstoss
Der Fall «Suisse Secrets» rund um die Credit Suisse hat aufgezeigt, dass die Pressefreiheit im Bankengesetz gestärkt werden müsste, um künftig Recherchen über sensitiven Daten zu ermöglichen. Die Wirtschaftskommission des Ständerates (WAK-S) machte genau das Gegenteil: Sie forderte den Bundesrat mit einem Postulat auf, zu prüfen, ob die Veröffentlichung «rechtswidrig erhaltener und erhobener Daten» künftig strafbar sein soll. Betroffen wären nicht nur Bankdaten, sondern alle vertraulichen Informationen, mit denen Investigativjournalistinnen und -journalisten arbeiten müssen. Hauptverantwortlich für das Postulat sind vor allem zwei Personen: Der ehemalige Ständerat Alex Kuprecht (SVP Schwyz), der als damaliger Präsident der Wirtschaftskommission zu den Initiatoren des Postulats zählt, und Wortführer FDP-Parteichef Thierry Burkart, der in der Debatte versicherte, dass man damit die Pressefreiheit nicht weiter einschränken wolle. Trotz namhafter Kritik von Expertinnen und Experten und einem offenen Protestbrief unseres Recherche-Netzwerks investigativ.ch, der von über 600 Medienschaffenden unterzeichnet worden ist, hat der Ständerat dem pressefeindlichen Vorstoss zugestimmt. Der Bundesrat hat bis Ende 2025 Zeit, einen Bericht auszuarbeiten.
Auszug der Stellungnahme von Thierry Burkart:
Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, dass ihre sensiblen persönlichen Daten geschützt werden. Dasselbe gilt für Schweizer KMUs, die immer öfter den Angriffen von Cyberkriminellen ausgeliefert sind. Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut. Der Schutz vor Erpressern ist es auch. Das Parlament verlangte vom Bundesrat keine Einschränkungen, sondern einzig einen Bericht, wie diese wichtigen Rechtsgüter vereinbart werden könnten. Es handelt sich also um eine Güterabwägung: Zwischen dem Schutz persönlicher Daten und dem berechtigten Interesse an journalistischer Recherche. An einer solchen Güterabwägung sollten auch kritische Medien, die sich nicht von Cyberkriminellen instrumentalisieren lassen wollen, ein ureigenes Interesse haben.
Ausführliche Nomination & Stellungnahmen
Bremsende Justiz
Die Genfer Onlinebank Flowbank hatte sich massiv überschuldet. Darauf wollte das Westschweizer Wirtschafts- und Finanzzeitung l’Agefi aufmerksam machen. Doch aufgrund einer superprovisorischen Verfügung untersagte die Genfer Justiz dem Medium die Publikation darüber – acht Monate lang. Erst im Juni dieses Jahres konnte l’Agefi die zwei ursprünglichen Artikel wieder onlinestellen; das Berufungsgericht hatte dem Medium Recht gegeben. Die Finma hatte die Onlinebank zu diesem Zeitpunkt aber bereits zwangsgeschlossen. Statt dass Kundinnen und Kunden durch eine rechtzeitige Berichterstattung vor dem sich abzeichnenden Konkurs hätten gewarnt werden können, verhinderte das erstinstanzliche Zivilgericht Transparenz. Dies, obwohl sich die Artikel sachlich auf den Jahresbericht (zu dessen Publikation die Bank ohnehin rechtlich verpflichtet ist) sowie auf einen Prüfungsbericht gestützt haben. Die Leichtfertigkeit, mit der solche vorsorglichen Massnahmen angeordnet werden können, ist äusserst besorgniserregend. Es sind weitere Fälle bekannt (Spionageaktion Katars gegen Fifa-Funktionäre, Öl- und Gasförderer Addax), bei welchen das Genfer Zivilgericht den Medien Maulkörbe verpasste. Und schleppend behandelte. Weitere Fälle von Superprovisorischen gegen Medien sind teilweise seit Jahren hängig.
Die Antwort: Das erstinstanzliche Zivilgericht von Genf möchte keine Stellung nehmen.
Unfaire Medienstelle
Als Wirtschaftsjournalist Beat Schmid, Gründer des Onlinemedium tippinpoint.ch, die Medienstelle von Coop anrief, hätte er sich auf eine exklusive Antwort verlassen dürfen. Schmid hatte erfahren, dass Coop das Finanzapp Finance+ nach wenigen Monaten einstellt, und wollte die Information bei der Medienstelle verifizieren. Der stellvertretende Leiter der Coop-Medienstelle, Kevin Blättler, stellte eine Antwort für den Nachmittag in Aussicht. Per Mail vertröstete er Schmid schliesslich auf den nächsten Tag. Doch statt einer persönlichen Antwort erhielt er eine «soeben publizierte Medienmitteilung». Coop nahm Schmids Recherche und Anfrage zum Anlass, das Scheitern des Finanzapps in Form einer Medienmitteilung zu kommunizieren. Solches Vorgehen verletzt die Fairnessregeln und beeinträchtigt die Beziehung zwischen Medienschaffenden und Kommunikationsabteilungen. Medienschaffende müssen darauf vertrauen können, dass sie nicht um die Früchte ihrer Arbeit gebracht werden. Dieses Verhalten schadet nicht nur dem Ansehen des Unternehmens, sondern der gesamten Kommunikationsbranche. Welcher Medienschaffender vertraut einer Medienstelle noch sein Wissen an, wenn er oder sie davon ausgehen muss, dass Informationen aus unerklärten Gründen zurückgehalten werden?
Auszug aus der Stellungnahme von Kevin Blättler:
In diesem spezifischen Fall waren uns leider die Hände gebunden. Die Veränderungen bei Coop Finance+ wurden von einem börsenkotierten Partner nach eingehender Prüfung als potenziell kursrelevant eingestuft. Mit diesem Vorgehen haben wir im Rahmen der Partnerschaft gewährleistet, dass er der gesetzlich vorgeschriebenen Publikationspflicht vollumfänglich nachkommen kann. Daher war es nicht möglich, die Medienanfrage vorgängig zu beantworten.
Ausführliche Nomination & Stellungnahme