«Maulkorb»-Artikel schützt die Falschen

Investigativ.ch ist enttäuscht über den Entscheid des Ständerats. Er gibt einflussreichen Personen noch mehr Munition, unliebsame Berichterstattung zu verhindern.

Richter könnten negative Berichterstattung vorsorglich stoppen, wenn persönliche Rechte gefährdet sein könnten. Der Grundsatz ist gut: Haltlose Vorwürfe oder ein schwerer Schaden für das Image soll verhindert werden, wenn das öffentliche Interesse an der Information weniger hoch gewichtet wird.

Doch in Realität nutzen diese Möglichkeit meist einflussreiche Personen, um Unangenehmes zu vertuschen. Zum Beispiel Vorwürfe wegen Korruption, Geldwäscherei oder Steuerhinterziehung. Wirtschaftskriminelle haben oft die finanziellen Ressourcen und die richtigen Anwälte, um mit einer solchen superprovisorischen Verfügung eine negative Berichterstattung zu verhindern bzw. verschieben. Dagegen anzugehen, kostet Journalisten bereits jetzt (zu) viel Geld und Energie.

Nun will der Ständerat die Hürde für den vorsorglichen «Maulkorb» senken. Damit ein Richter präventiv eine Publikation verhindern kann, soll die Berichterstattung nur noch einen «schweren Nachteil» auslösen können. Heute muss eine betroffene Person oder ein betroffenes Unternehmen beweisen, dass ein «besonders schwerer Nachteil» vorliegt.

Der Rat möchte damit die Balance mehr zu Gunsten der Persönlichkeitsrechte «des kleinen Mannes» verschieben – weg von dem Gleichgewicht, das seinerzeit von zwei aufeinanderfolgenden Expertengruppen sorgfältig ausgearbeitet wurde. In Realität schützt die Streichung des Wortes «besonders» die Falschen. Der Ständerat will einflussreichen Personen und deren Anwälte die Munition geben, noch einfacher eine negative Berichterstattung zu verhindern. Das gefährdet die Pressefreiheit und ist absolut nicht im Sinne der Öffentlichkeit.

Investigativ.ch ist enttäuscht über den Entscheid des Ständerats. Wir fordern, dass der Nationalrat dieses Geschäft wieder in die richtige Bahn lenkt, Vertreter der Medien vor den Beratungen anhört und das Wort «besonders» im Text bestehen bleibt. Die heutige Regelung ist ausreichend – dieser Ansicht ist auch der Bundesrat. Eine Verschärfung behindert die investigative Arbeit und kann dazu führen, dass Missstände unter dem Deckel bleiben.