Stellungnahme: Schwächere SRG bedeutet schwächeren Recherchejournalismus
Investigativer Recherchejournalismus ist zeit- und ressourcenintensiv. Mit einer Mittelreduktion wäre eine Abnahme des Umfangs und der Qualität der Leistungserbringung der SRG unvermeidbar. Deshalb hat der Verein investigativ.ch an der Vernehmlassung zur entsprechenden Teilrevision teilgenommen.
Im Namen der Recherchejournalistinnen und -journalisten der Schweiz nehmen wir als Verein investigativ.ch im Vernehmlassungsverfahren zur Teilrevision der Radio- und Fernsehverordnung (RTVV) Stellung.
Wir begrüssen die vom Bundesrat kommunizierte Ablehnung der SRG-Halbierungsinitiative, welche weitreichende, unwiderrufliche negative Auswirkungen auf das publizistische Angebot der SRG und damit drastische Folgen für das mediale Angebot in der Schweiz hätte. Allerdings lehnen wir die hiermit präsentierte Teilrevision der Radio- und Fernsehverordnung in ihrer Gesamtheit ab.
Die Medienbranche ist seit Jahren stark unter Druck. Die in den letzten Monaten angekündigten Sparpläne bei nahezu allen grossen und kleinen Medienhäusern zeigt: Einen weiteren massiven Stellenabbau kann der Medienplatz Schweiz nicht auffangen, die Vielfalt leidet und der Druck auf die bestehenden Angestellten wurde in den letzten Jahren mit jeder der zahlreichen Sparrunden höher. Eine Abnahme des Umfangs und der Qualität der Leistungserbringung der SRG ist mit einer (erneuten) Mittelreduktion unvermeidbar. Mit welchem Ziel? Der Bundesrat argumentiert mit einer «für die Haushalte spürbaren Senkung der Haushaltabgabe». Uns ist schleierhaft, wie bei einer Senkung von 35 Franken pro Jahr und pro Haushalt von einer spürbaren Senkung gesprochen werden kann.
Für die Bevölkerung ist ein qualitativ hochstehender Journalismus grundlegend. Auch die Bundesverfassung hält unter Art. 93 fest, dass Radio und Fernsehen «zur Bildung und kulturellen Entfaltung, zur freien Meinungsbildung und zur Unterhaltung» beitragen. Ein unabhängiges, starkes Angebot des Service public ist für eine Demokratie und die öffentliche Meinungsbildung essenziell. Dies ist insbesondere in Zeiten von Desinformation von entscheidender Wichtigkeit – die breit zugänglichen Instrumente der künstlichen Intelligenz (wie beispielsweise ChatGPT) haben gezeigt, wie einfach und täuschungsecht Fake News generiert und verbreitet werden können. Von Fake News geht eine grosse Gefahr aus, denn mittels Falschinformationen wird – im Gegenzug zu Falschmeldungen – ein bestimmtes Ziel verfolgt und versucht, Einfluss auf politische, gesellschaftliche oder ökonomische Entwicklungen zu nehmen.
Medien nehmen durch ihre verifizierende und einordnende Funktion eine wichtige Rolle als Orientierungshilfe für die Bevölkerung ein. Journalistinnen und Journalisten sind geschult, Quellen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, Stellungnahmen einzuholen, im konkreten Einzelfall das öffentliche Interesse gegen Geheimhaltungsinteressen abzuwägen und Informationen einzuordnen. Wir sind der Ansicht, dass gute Recherchen nur mit guten Arbeitsbedingungen möglich sind – sowohl bei privaten als auch bei öffentlichen Medien.
Insbesondere der investigative Recherchejournalismus, der Missstände aufdeckt, Anschuldigungen auf den Grund geht und Klarheit über diffuse Informationen schafft, ist zeit- und ressourcenintensiv. Da die SRG wirtschaftlich und politisch unabhängig ist, kann sie Recherchen angehen, die sich für viele private Medien nicht lohnen würden. Auch ermöglicht die SRG aufwändige Dokumentarfilme und investigative Podcasts und sorgt dafür, dass die Bevölkerung in allen Landesteilen und Sprachregionen von einer vielfältigen Berichterstattung profitiert.
Wir erinnern daran, dass sich auch das UVEK entsprechend geäussert hat: «In einer digitalisierten und fragmentierten Medienwelt ist ein guter Service public als Orientierungspunkt für die Demokratie wichtiger denn je. Private Radio- und Fernsehangebote ohne Leistungsauftrag und Gebührenunterstützung sind primär auf Unterhaltung ausgerichtet und bieten im Unterschied zu Service public Angeboten wenig politische Hintergrundinformation oder Kultur- und Bildungsvermittlung. Der Service public hingegen erfüllt eine integrierende Funktion: Sprachgemeinschaften, Religionen, Generationen, Menschen mit Migrationshintergrund und weitere gesellschaftliche Gruppen sollen in den Programmen miteinbezogen werden.»
Dies sieht auch die Schweizer Bevölkerung so: Im Rahmen der «No Billag»-Initiative im Jahr 2018 hat sich die Bevölkerung mit einem klaren Nein von 71,6 Prozent für den Service public ausgesprochen. Die Abgabe unterstützt nicht nur die SRG in ihrem Grundversorgungsauftrag, sondern hilft auch bei der Finanzierung von zahlreichen lokalen Radio- und Fernsehsendern in allen Sprachregionen, wie BeO, Neo1, Radio 3fach, TeleBärn oder Tele 1. Diese wären durch eine Kürzung der Gebühr für Radio und Fernsehen stark gefährdet. Zudem hängt gemäss einer vom Bund im Jahr 2016 in Auftrag gegebene Studie an jeder Vollzeitstelle bei der SRG eine weitere Vollzeitstelle in einer anderen Branche.
Die vorgeschlagenen Verordnungsanpassungen hätte ähnlich drastische Folgen wie die Volksinitiative: massiver Stellenabbau, Schwächung der Medien- und Kulturlandschaft, Verlust von Qualität und Vielfalt für die Bevölkerung. Statt eine qualitative Berichterstattung und die Möglichkeiten der öffentlichen Meinungsbildung zu stärken, würde der Bundesrat mit dieser RTVV-Revision den medialen Service public schwächen und damit die Erosion der Vielfalt und der Qualität der Schweizer Medienlandschaft weiter vorantreiben. Wir bitten den Bundesrat daher, auf diese Revision zu verzichten.