«Liebe Ständeräte, wollt ihr das wirklich?»

Statt die Pressefreiheit zu stärken, hat der Ständerat in der Wintersession in zwei parlamentarischen Vorstössen zum Ausdruck gebracht, dass er das Gegenteil will. Als Schweizer Recherche-Netzwerk, das sich für gute Recherchebedingungen einsetzt und investigativen Journalismus fördert, sind wir sehr enttäuscht und vor allem auch beunruhigt.

Gemeinsam mit weiteren Medienverbänden und -organisationen (VSM, Medien mit Zukunft, SRG SSR, Radios Régionales Romandes, Schweizer Presserat, Reporter ohne Grenzen, Lobbywatch, syndicom, impressum, SSM, CFJM, MAZ, QuaJou, investigativ.ch) hatten wir uns im Vorfeld an das Parlament gewendet und vor diesem Schritt gewarnt. Unseren offenen Brief haben rund 700 Medienschaffende unterschrieben.

Nun wendet sich auch Dominique Strebel, Gründungspräsident von investigativ.ch und Chefredaktor des Beobachters, an den Ständerat: «Mit Verlaub. Das ist kurzsichtig, schadet der Schweiz und zeugt von einem beschränkten Verständnis der Medienwelt.» Nachfolgend publizieren wir den Text, der am 20. Dezember im Beobachter erschienen ist.

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Liebe Ständerätinnen und Ständeräte, wir müssen reden.

Sie wollen, dass Journalistinnen und Journalisten bestraft werden können, wenn sie über geheime Unterlagen aus einer Schweizer Bank berichten. Mit bis zu drei Jahren Gefängnis.

Darum haben Sie eine Motion des Nationalrats abgelehnt, die diesen Maulkorb für Medien beseitigen wollte. Banken und andere Finanzinstitute bleiben somit für Schweizer Journalistinnen eine Blackbox. Doch damit nicht genug – die Drohung mit einer drakonischen Strafe soll nun sogar noch ausgeweitet werden.

Mit Verlaub. Das ist kurzsichtig, schadet der Schweiz und zeugt von einem beschränkten Verständnis der Medienwelt. Denn Tatsache ist: Geheime Daten werden auch in Zukunft veröffentlicht werden. Aber nicht von Schweizer Medien, sondern von ausländischen. 

Das zeigt die geltende Strafbestimmung exemplarisch: Die «Süddeutsche Zeitung» berichtete 2022 über die 18’000 zweifelhaften CS-Konten von «brutalen Machthabern, korrupten Politikern, Kriegsverbrechern und anderen Kriminellen».

Schweizer Medien konnten nur nachbeten, was über die Credit Suisse publiziert wurde, aber nicht selbst in den Datensätzen von «Suisse Secrets» recherchieren. Und 2023 beim CS-Debakel musste die Schweizer Öffentlichkeit der britischen Tageszeitung «Financial Times» glauben. Eigene geheime Quellen konnten Schweizer Medien nicht auswerten. 

Die Strafbestimmung für Medien stammt aus dem Jahr 2015, als die Schweiz Bollwerke errichtete, um sich gegen ausländische Angriffe auf das Bankgeheimnis zu wehren.

Das Bankgeheimnis ist längst Geschichte, die Strafbestimmung blieb – und half ironischerweise wohl mit, die zweitgrösste Bank des Landes zu Fall zu bringen. Denn eine kritische Berichterstattung auch im Bankwesen ist ein Frühwarnsystem, das mithelfen kann, derartige Kollapse zu verhindern.

Liebe Ständerätinnen und Ständeräte, Sie haben daraus offenbar nichts gelernt, sondern wollen jetzt sogar, dass Medien immer bestraft werden können, wenn ihre Berichte auf rechtswidrig erworbenen Daten beruhen. Ausser es könnten dadurch systematische Gesetzesverletzungen aufgeklärt werden.

Mit einem Postulat haben Sie – mit 28 zu 12 Stimmen – den Bundesrat aufgefordert, einen entsprechenden Bericht zu verfassen. 

Wollen Sie das wirklich? Für den Beobachter hätte ein entsprechendes Gesetz einschneidende Konsequenzen: Prix-Courage-Kandidatinnen und -Kandidaten wie Esther Wyler und Margrit Zopfi, die Mängel im Controlling von Sozialmissbrauch öffentlich gemacht haben, oder André Plass, der auf Missstände bei der Herzchirurgie des Unispitals Zürich hinwies, könnten kaum mehr nominiert werden. Zu gross wäre das rechtliche Risiko.

Und viele Recherchen wären nicht oder nur mehr eingeschränkt möglich. So zum Beispiel diejenigen über Schlamperei beim Inselspital Bernvertrauliche Patientendaten bei der CSSChatverläufe von CyberkriminellenOnlinebetrüger oder Angriffe von Hackern auf Spitäler

Ihr Postulat ist naiv, denn geheime Daten werden im Internet und über Social Media auch dann verbreitet, wenn dies unter Strafe steht. Das war bisher so und wird in Zukunft nicht anders sein. Zu einfach ist es, Spuren zu verwischen, zu aufwendig die Strafverfolgung.

Da ist es sinnvoller, wenn klassische Medien informieren und einordnen. Journalistinnen und Journalisten sind geschult, Quellen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, Stellungnahmen einzuholen, im konkreten Einzelfall das öffentliche Interesse gegen Geheimhaltungsinteressen abzuwägen und Informationen einzuordnen.

Das ist unser Handwerk, das wir Tag für Tag anwenden. Und falls wir es nicht korrekt tun, sichern ein ausgebautes Medienrecht und ein Heer von Medienanwältinnen und PR-Beratern die Rechte der Betroffenen.

Seien Sie ehrlich: Sie misstrauen unserer Branche. Aber womöglich ist Ihr Bild von ihr, liebe Ständerätinnen und Ständeräte, schlicht zu negativ. Vielleicht weil Sie es mit Social Media vermischen oder weil es geprägt ist von einzelnen, persönlichen Erlebnissen, die nicht die grundsätzliche Arbeit und Leistung von Medien widerspiegeln. 

Deshalb: Liebe Ständerätinnen und Ständeräte, lassen Sie uns reden. 079 588 90 68; dominique.strebel@nospam-beobachter.ch oder – wenn Sie anonym Kontakt aufnehmen wollen – www.sichermelden.ch. Ich verspreche Ihnen, wir werden Ihre Daten vertraulich und mit der nötigen Sorgfalt behandeln. Wie wir das immer tun.

Dominique Strebel hat investigativ.ch mitgegründet und war der erste Präsident des Vereins. Heute leitet der Jurist und Journalist als Chefredaktor die Redaktion des Beobachters.