Bremsklotz 2019

Der Gewinner ist Jørgen Bodum

Der Goldene Bremsklotz von investigativ.ch geht dieses Jahr an Jørgen Bodum. Der millionenschwere Industrielle hat eine Journalistin wegen Hausfriedensbruch verzeigt. Weil sie für eine Reportage seine besetzte Villa in Luzern betreten hatte. Der Fall kommt diesen Sommer vor Gericht und hat grosse Bedeutung für die Medienfreiheit. 

Die Mitglieder des Recherchenetzwerks investigativ.ch haben entschieden: Der Goldene Bremsklotz 2019 geht an den Industriellen Jørgen Bodum. Er hat die Journalistin Jana Avanzini wegen Hausfriedensbruch verzeigt. Avanzini schrieb 2016 für zentralplus eine Reportage über die besetzte Bodum-Villa in Luzern. Avanzini wollte sich mit eigenen Augen ein Bild über den Zustand des Hauses machen. Sie machte damit genau das, was Journalisten tun sollen: Die Öffentlichkeit mit relevanten Informationen aus erster Hand versorgen. Für den millionenschweren Industriellen hat die Journalistin damit aber Hausfriedensbruch begangen.

Bodum holt den Preis nicht persönlich ab

Jørgen Bodum hat sich für die Preisverleihung entschuldigen lassen. Via seinen Anwalt teilt er Investigativ.ch mit, er wünsche «keine weitere Kommunikation» zu diesem Thema. Bodum und seine Anwälte halten an ihrer Anzeige fest: «Die Bodum Invest AG weist darauf hin, dass alle Bürgerinnen und Bürger unabhängig vom Beruf sich an das Gesetz zu halten haben».

Ein Fall mit Signalwirkung

Der Fall kommt diesen Sommer vor das Bezirksgericht in Luzern und hat grosse Signalwirkung. Es geht um die Grundsatzfrage, ob Journalistinnen und Journalisten in Zukunft bei Hausbesetzungen am Gartenzaun stehen bleiben müssen. Aus Sicht von Investigativ.ch ein unhaltbarer Zustand. Weil sich Journalistinnen und Journalisten dann kein eigenes Bild mehr machen könnten.

Investigativ.ch fordert Rechtssicherheit 

Losgelöst vom Thema Hausbesetzungen geht es um einen grundsätzlichen Missstand. Aus Sicht von Investigativ.ch braucht es eine Lösung, die Journalistinnen und Journalisten mehr Rechtssicherheit gibt, wenn sie im Interesse der Öffentlichkeit recherchieren. Deshalb fordert Investigativ.ch, dass das Strafgesetz mit dem Rechtfertigungsgrund «Wahrung berechtigter Interessen» ergänzt wird.

Schmähpreis für Informationsverhinderung

Das Recherchenetzwerk Investigativ.ch vergibt dieses Jahr zum sechsten Mal den Schmähpreis «Goldener Bremsklotz» für Informationsverhinderung. Neben Jørgen Bodum waren auch das VBS und der Thurgauer Regierungsrat nominiert. Die Mitglieder von Investigativ.ch haben den Gewinner mitttels einer Online-Abstimmung ermittelt. Der Fall Bodum hat hauchdünn mit nur zwei Stimmen Vorsprung das Rennen gemacht. Verliehen wurde der Preis anlässlich der investigativ.ch-Jahrestagung am 10. Mai 2019 in Olten.

Für die bisherigen Gerichtskosten von Jana Avanzini kamen private Spender und zentralplus auf. Um die Kosten für die nächste Instanz zu decken, gibt es nun ein Crowdfunding.

https://www.funders.ch/projekte/medienfreiheit

Die Nominierten!

Wer soll den Goldenen Bremsklotz 2019 für die grösste Informationsverhinderung des Jahres erhalten? Wie jedes Jahr hat der Vorstand von investigativ.ch aus Euren zahlreichen Vorschlägen drei Spitzenkandidaten ausgewählt.

  • Fall P26: Das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport
  • Fall Bodum: Der Millionär Jørgen Bodum
  • Fall Thurgau: Regierung Kanton Thurgau

Abstimmen können alle Mitglieder von investigativ.ch. Sie haben ein entsprechendes Mail erhalten.

Der Fall Geheimarmee P26

Die Aufdeckung der Geheimarmee P26: Einer der ganz grossen Politskandale der Schweiz. Wichtiger Bestandteil der historischen Aufarbeitung wäre der sogenannte Cornu-Bericht. Der Bundesrat hat eine geschwärzte Version davon veröffentlicht, doch alle Zusatzakten zum Bericht sind verschwunden. Über ein Jahr lang hat das VBS die staatspolitisch heiklen Akten gesucht. Ergebnislos. Der Fall steht für die fragwürdige Archivpraxis des VBS. Es kann nicht sein, dass derart heikle Akten in der Schweiz «verloren» gehen.

Die Antwort des VBS

«Das VBS ist sich der Problematik bewusst und bedauert den Verlust der Handakten zum Cornu-Bericht. Da das Ereignis bereits lange zurück liegt, ist der Verbleib der Akten auch für die damaligen Akteure nicht mehr nachvollziehbar. Die Suche nach den Handakten wurde abgeschlossen. Es ist leider nicht gelungen, diese in den Beständen des Bundesarchivs ausfindig zu machen.»

Der Fall Bodum

Die Journalistin Jana Avanzini schrieb 2016 eine Reportage über ein besetztes Haus in Luzern. Dafür musste sie das Haus betreten. Die Villa gehört dem Industriellen Jorge Bodum, – bekannt für seine Küchengeräte. Er hat Avanzini wegen Hausfriedensbruch angezeigt. Seither mahlen die Mühlen der Justiz und die Journalistin muss sich demnächst vor Gericht verantworten. Der Fall steht für die Unsitte, Journalistinnen und Journalisten bei der Berufsausübung mit Rechtsmitteln zu behindern und die Medienfreiheit einschränken zu wollen.

Die Antwort des Bodum-Rechtsanwaltes

«Die Bodum Invest AG weist darauf hin, dass alle Bürgerinnen und Bürger unabhängig vom Beruf sich an das Gesetz zu halten haben. Für den Tatbestand des Hausfriedensbruches ist weder ein «Aufbrechen» noch ein «Besetzen» erforderlich. Ob sich die Journalistin strafbar gemacht hat oder nicht, wird das Gericht beurteilen. Bei dieser aktuellen Ausgangslage Herrn Bodum persönlich einen Schmähpreis verleihen zu wollen, erscheint etwas vorpreschend.»

Der Fall Thurgau

Der Thurgau gehört zu den wenigen Kantonen, in denen nach wie vor das Geheimhaltungsprinzip gilt. Dieses wird von der Regierung mit längst überholten Argumenten verteidigt. Die Einführung des Öffentlichkeitsprinzips habe andernorts keinen Mehrwert gebracht, schrieb die Regierung im September 2018 in einer Stellungnahme zu Handen des Parlaments. Stattdessen warnt die Regierung, vor einer Aufblähung des Verwaltungsapparats. Der Fall steht für die Unsitte, den Nutzen des Öffentlichkeitsprinzip in Frage zu stellen.

Die Antwort des Kantons Thurgau

Im Auftrag der Thurgauer Regierung äusserte sich Stephan Felber, Generalsekretär des Departements für Justiz und Sicherheit, zur Nomination – und gab sich sehr kurz angebunden: Er habe die Stellungnahme des Regierungsrates zur Volksinitiative nicht zu kommentieren, schrieb Felber.

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Jahresbericht 2018

Wir vermelden zwar jedes Jahr dasselbe, aber weil es so unglaublich erfreulich ist, erlauben wir uns, damit in den Jahresbericht zu starten: Das Recherche-Netzwerk investigativ.ch ist auch dieses Jahr gewachsen. Wir haben aktuell 361 Mitglieder. Dank deren Mitgliederbeiträgen schaffen wir es jedes Jahr, ein interessantes Programm auf die Beine zu stellen, uns politisch und juristisch für den Recherchejournalismus einzusetzen und natürlich auch, die richtigen Leute miteinander zu vernetzen.

Und das können wir ab 2019 deutlich grösser denken. Wir sind von drei verschiedenen Institutionen äusserst grosszügig bedacht worden. Mit Geldern, die wir in ganz konkrete Projekte stecken, an denen wir seit 2018 intensiv arbeiten: Wir lancieren an unserer erstmals durchgeführten Jahrestagung einen Recheche-Fonds für Lokaljournalismus und präsentieren die neue Website.

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Weiterhin hohe Hürden für Whistleblower

Von investigativ.ch Mitglied Daniel Bütler (@danielbuetler)

Der Umgang mit Whistleblowern ist ein blinder Fleck in der schweizerischen Gesetzgebung. Bisher mussten die Gerichte im Einzelfall entscheiden. In seiner Zusatzbotschaft zur Revision des Obligationenrechts vom 21.9. schlägt der Bundesrat nun neue gesetzliche Regelungen für Whistleblower vor.

Das zulässige Vorgehen ist kaskadenartig: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen Missstände immer zuerst dem Arbeitgeber melden. Wenn dieser nicht reagiert, dürfen sie sich an eine Behörde wenden. In Spezialfällen ist eine direkte Meldung an die Behörden zulässig. Der Gang an die Öffentlichkeit ist erst dann zulässig, wenn weder Arbeitgeber noch Behörden – innerhalb von 14 Tagen – auf die Meldung reagiert haben. Ebenfalls darf die Öffentlichkeit eingeschaltet werden, wenn dem Arbeitnehmer gekündigt wurde, nachdem er die Behörden eingeschaltet hat. Eine Kündigung wegen einer rechtmässigen Meldung gilt als «missbräuchlich» – sie bleibt allerdings gültig, wobei der Arbeitnehmer bis zu sechs Monatslöhne Entschädigung erhalten kann.

Transparency International Schweiz begrüsst zwar die Stossrichtung des Gesetzesvorschlags des Bundesrats, hält den Vorschlag aber für ungenügend. Der Kündigungsschutz bleibe zu schwach. Weiterhin zu hoch seien die Hürden für Meldungen an die zuständigen Behörden und die Öffentlichkeit. Nun sei das Parlament gefordert, bei der Beratung des Gesetzes Verbesserungsmassnahmen vorzunehmen.

Wichtig für Medienschaffende ist, dass sich Whistlerblower mit der vorgesehenen Regelung erst an die Medien wenden können, wenn weder der Arbeitgeber noch die zuständigen Behörden auf die Meldung von Missständen reagiert haben. Ansonsten verletzen sie ihre Treuepflicht dem Arbeitgeber gegenüber. Der direkte Gang an die Medien ist nicht zulässig – und stellt für Whistleblower weiterhin ein Risiko dar. Vor Kündigung sind sie nicht geschützt.

Whistleblower-Meldestellen gibt es verschiedene. Seit längerem existiert die Plattform des Beobachters.

Der Bund unterhält eine eigene Stelle für Bundesangestellte und Privatpersonen, die «Unregelmässigkeiten» melden möchten.

Im Juli wurde die neue Plattform Swiss Leaks aufgeschaltet. Sie wird betrieben von der Kampagnenorganisation Campax.

Mehr dazu beim Europäischen Parlament, in einer SRF-Sendung, einer Studie der HTW Chur und beim Presserat.

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