Rede von Marc Meschenmoser zu Julian Assange
Zur Freilassung von Julian Assange wurde am 22. Juni 2022 anlässlich einer Pressekonferenz des Schweizer Presseclubs in Genf ein Aufruf veröffentlicht. Unser Co-Präsident Marc Meschenmoser hielt dort eine Rede über die Bedeutung des investigativem Journalismus.
(übersetzt aus dem Französischen)
Guten Tag.
Vielen Dank an Pierre Ruetschi und den Schweizer Presseclub, dass Sie mir die Möglichkeit geben, ein paar Worte zur Situation der investigativen Journalistinnen und Journalisten in der Schweiz zu sagen.
In letzter Zeit hat der investigative Journalismus in der Schweiz einen Boom erlebt. Das Recherche-Netzwerk investigativ.ch, deren Vereins-Co-Präsident ich bin, zählt heute über 300 Mitglieder – Tendenz steigend.
Der Recherchedesk von Tamedia war einer der ersten, der in der Schweiz ins Leben gerufen wurde. Er veröffentlicht regelmässig Scoops, zusammen mit Le Matin Dimanche in der Romandie, beispielsweise zu den Panama Papers dank ihrer Verbindungen zu internationalen Netzwerken oder auf nationaler Ebene zur Misshandlung von Arbeitern in den Schweizer Weinbergen; eine Recherche, die vergangenen Sonntag erschienen ist.
Ich selbst konnte eine Rechercheredaktion mit 14 Stellen für die Konsumentenmagazine K-Tipp und saldo aufbauen. Und dank des Öffentlichkeitsgesetzes des Bundes konnten wir mehr als einmal Verträge oder Missstände in der Schweizer Politik aufdecken.
Das Schweizer Fernsehen SRF hat im vergangenen Herbst ebenfalls ein Investigativdesk eingerichtet, so wie auch schon RTS.
Wir spüren auch den Willen der Verleger bei Médias Suisse, in unser gutes Funktionieren als vierte Gewalt zu investieren, um dort Licht ins Dunkel zu bringen, wo es die Mächtigen in Wirtschaft und Politik nicht wollen.
Also alles bestens?
Weit entfernt.
Wissen Sie, wo sich die grösste Redaktion der Schweiz befindet?
In Bern. Dank des Öffentlichkeitsgesetzes konnte der K-Tipp im letzten Jahr die Anzahl der Angestellten herausfinden, die sich um die Kommunikation der verschiedenen Departemente des Bundes kümmern: über 500!
In der gesamten internationalen Presse war zudem zu lesen, dass einige Schweizer Anwälte und Banker ihren Kunden geholfen haben, Steuern zu vermeiden oder sogar Geld zu waschen. Schweizer Journalistinnen und Journalisten konnten diese «Suisse Secrets» nicht selbst recherchieren oder veröffentlichen, da ihnen aufgrund eines Bankengesetzes, das die Weitergabe von Bankdaten verbietet, eine Gefängnisstrafe gedroht hätte.
Das Bundesparlament in Bern hat das Gesetz im Mai noch verschärft: Richter können nun die Veröffentlichung eines Artikels verbieten, ohne dass die Anschuldigung inhaltlich geprüft wird. Dies gibt dem zuständigen örtlichen Richter viel mehr Macht und wird sicherlich einige Recherchen verhindern.
Um Informationen an die Öffentlichkeit zu bringen, braucht es Whistleblower. Doch das Parlament hat die Schaffung eines Gesetzes, das ihnen in der Schweiz einen Mindestschutz gewähren würde, mehrfach abgelehnt.
Erst diese Woche zeigte eine Untersuchung des Tessiner Fernsehens RSI, dass in letzter Zeit fünf Whistleblower bei den Vereinten Nationen in Genf entlassen wurden.
Aber vielleicht ist all dies erwünscht. Und nicht nur in der Schweiz.
Das einzige «Verbrechen» von Julian Assange besteht darin, dass er Kriegsverbrechen und andere Informationen, die die Behörden verbergen wollten, aufgedeckt hat. Er hat als investigativer Journalist hervorragende Arbeit geleistet. Der Kampf von Julian Assange ist unser aller Kampf: Der Angriff auf Assange ist ein Angriff auf den investigativen Journalismus.
Lassen Sie Julian Assange frei. Free Assange.